In dieser Woche erinnern wir mit dem Tag der Afrikanischen Kinder und der Jugend besonders an den Aufstand von Soweto, der am 16. Juni 1976 begann, sich im ganzen Land verbreitete und heute in ganz Afrika und der Welt anerkannt ist.
Die Jugend von Azania (Südafrika) ging an diesem Tag gegen die rassistische Diktatur der Apartheid auf die Straßen von Soweto. Die Widerstand der Jugendlichen und Kinder war viel mehr, als eine spontane Reaktion auf immer härtere Demütigungen im Bildungs- und Gesellschaftssystem. [1]
Eine ganze Generation von jungen Freiheitskämpfer:innen wurde damals inspiriert und getragen durch die Strukturen und Ziele des Black Consciousness Movement BCM (Bewegung des Schwarzen Bewusstseins). Nach den brutalen Massakern an hunderten protestierenden Jugendlichen und Kindern am 16. Juni 1976 folgte eine weitere Zuspitzung der Konfrontation. [2] [3] [4]
Als Begründer des BCM gilt Bantu Stephen Biko, der wie die Jugendlichen und Kinder von Soweto für Schwarze Selbstermächtigung, Selbstliebe und Freiheit den höchsten Preis des Lebens bezahlte, als er durch den rassistischen Terrorstaat im September 1977 zu Tode gefoltert wurde. Biko war als junger Medizin-Student in die Gründung der South African Student Organisation (SASO), der Black People Convention (BPC) und später des South African Students Movement (SASM) und der Black Community Programme (BCP) involviert. Diese Organisationen brachten Studierende, Arbeitende, Schüler:innen und die breiten Massen zusammen und realisierten Organisation und Selbsthilfe an Arbeitsplätzen, mit Kinderbetreuung, in Gesundheit und Bildung bis hin zur Gefangenenunterstützung. [5]
Kurz nach der Ermordung von Biko wurden im Oktober 1977 alle Organisationen des BCM verboten, darunter die South African Students‘ Organisation (SASO), die Black People’s Convention (BPC), die Black Community Programmes (BCP), die Black Women Federation, die Border Youth Organisation, die Black Parents Association (BPA), die National Association of Youth Organisations (NAYO) und der Soweto Students’ Representative Council, welcher die folgenschweren und heldenhaften Proteste am 16. Juni 1976 angeführt hatte. [6]
Die tägliche und politisch-militärische Unterdrückung, das erstarkte Bewusstsein und die Erfahrungen der Jugend führten zwischen 1976-1978 dazu, dass sich immer mehr junge Menschen dem bewaffneten Kampf gegen das Apartheid-Regime anschlossen. Mit der Azanian People’s Organisation (AZAPO) gründete sich eine neue Organisation in der politischen Widerstandsbewegung, die sich in die Tradition von Biko, dem Black Consciousness Movement und dem Aufstand von Soweto 1979 stellte. [7]
Vor 20 Jahren veröffentlichte die Azanian People’s Organisation einen Text von Bantu Stephen Biko, der schon vor einem halben Jahrhundert für Bildungszwecke innerhalb der studentischen Organisation SASO genutzt wurde. Da die damals beschriebenen Punkte historisch wichtig sind und auch heute noch diskutiert werden müssen, veröffentlichen wir hier unsere Übersetzung vom Text „The Definition Of Black Consciousness By Bantu Stephen Biko“. [8]
Wir haben Schwarze als diejenigen definiert, die durch Gesetz oder Tradition als Gruppe in der südafrikanischen Gesellschaft politisch, wirtschaftlich und sozial diskriminiert werden und sich als Einheit im Kampf um die Verwirklichung ihrer Ziele identifizieren.
Diese Definition verdeutlicht uns so Einiges:
Mit diesen Bemerkungen können wir verstehen, dass der Begriff Schwarz nicht unbedingt allumfassend ist. Die Tatsache, dass wir alle nicht weiß sind, bedeutet nicht unbedingt, dass wir alle Schwarz sind. Nicht-Weiße gibt es und es wird sie auch noch lange geben. Wenn jemand nach dem Weißsein strebt, aber seine Pigmentierung das Erreichen dieses Ziels unmöglich macht, dann ist diese Person Nicht-Weiß. Jeder, der einen Weißen „baas“ [Boss] nennt, jeder, der bei der Polizei oder im Sicherheitsapparat arbeitet, ist quasi ein Nicht-Weißer. Schwarze Menschen – wahre Schwarze Menschen – sind diejenigen, die es schaffen, den Kopf widerständig hochzuhalten, anstatt ihre Seele bereitwillig dem weißen Mann zu opfern.
Kurz definiert ist Schwarzes Bewusstsein daher im Wesentlichen die Einsicht des Schwarzen Mannes [und der Schwarzen Frau*], dass er[/sie*] sich mit seinen Brüdern [und Schwestern*] um die Ursache der Unterdrückung – die Schwarze Haut – scharen und als Gruppe agieren muss, um sich von den Ketten, die an ewige Versklavung fesseln, selbst zu befreien. Schwarzes Bewusstsein soll die Lüge entlarven, dass Schwarz eine Abweichung vom „normalen“, dem weißen, wäre. Es ist Ausdruck einer neuen Einsicht, dass Schwarze, wenn sie versuchen, vor sich selbst wegzulaufen und dem weißen Mann nachzueifern, die Intelligenz desjenigen beleidigen, wer auch immer sie als Schwarze erschaffen hat. Schwarzes Bewusstsein erkennt daher die Absichtlichkeit des göttlichen Plans zur Erschaffung Schwarzer Menschen an.
Es versucht, die Schwarze Gemeinschaft mit einem neu gefundenen Stolz auf sich selbst, ihre Leistungen, ihre Wertesysteme, ihre Kultur, ihre Religion und ihre Lebensanschauung zu erfüllen. Die Wechselbeziehung zwischen dem Selbst-Bewusstsein und dem emanzipatorischen Programm ist von größter Bedeutung. Schwarze streben nicht mehr danach, das System zu reformieren, weil dies die Akzeptanz von zentralen Grundpfeilern des Systems einschließen würde. Die Schwarzen sind darauf aus, das System vollständig zu verändern und daraus das zu machen, was sie wollen. Ein solch großes Vorhaben kann nur in einer Atmosphäre verwirklicht werden, in der die Menschen von der Richtigkeit ihres Standpunktes überzeugt sind. Die Befreiung ist daher von größter Bedeutung im Konzept des Schwarzen Bewusstseins, denn wir können uns unserer selbst nicht bewusst sein und dennoch in Ketten bleiben. Wir wollen das ersehnte Selbst erlangen, das ein freies Selbst ist.
Der Aufbruch des Schwarzen Bewusstseins ist eine Erscheinung, die sich überall in der sogenannten Dritten Welt gezeigt hat. Es besteht kein Zweifel, dass die Diskriminierung des Schwarzen Mannes [und der Schwarzen Frau*] ihren Ursprung in der ausbeuterischen Orientierung des weißen Mannes hat. Die weiße Kolonisierung durch weiße Länder hat im Laufe der Geschichte zu nichts als Unheil geführt, schlimmstenfalls zu kultureller oder geographischer Verschmelzung, bestenfalls zu einer Vermischung der Sprache.
Es ist wahr, dass die Geschichte schwächerer Nationen von den größeren Nationen geprägt wird, aber nirgendwo auf der Welt sehen wir heute, dass weiße andere weiße in einem Ausmaß ausbeuten, das auch nur annähernd mit dem vergleichbar ist, was in Südafrika geschieht. Daher liegt der Schluss nahe, dass es kein Zufall ist, wenn Schwarze ausgebeutet werden. Es war ein vorsätzlicher Plan, der dazu geführt hat, dass selbst sogenannte unabhängige Schwarze Länder keine wirkliche Unabhängigkeit erreicht haben.
Vor diesem Hintergrund müssen wir also erkennen, dass es sich um einen Fall von Besitzenden gegen Nicht-Besitzende handelt, bei dem die Weißen absichtlich zu Besitzenden und die Schwarzen absichtlich zu Nicht-Besitzenden gemacht wurden.
Es gibt zum Beispiel keinen Arbeiter im klassischen Sinne unter den Weißen in Südafrika, denn selbst der am meisten unterdrückte weiße Arbeiter hat noch viel zu verlieren, wenn das System geändert wird. Er ist durch mehrere Gesetze vor der Konkurrenz der Mehrheit um die Arbeitsplätze geschützt. Er hat eine Stimme und nutzt sie, um die nationalistische Regierung wieder an die Macht zu bringen, weil er diese als die Einzigen sieht, die durch Arbeitsplatzvorbehaltsgesetze darauf bedacht sind, seine Interessen gegen die Konkurrenz mit den „Eingeborenen“ zu wahren.
Es sollte daher akzeptiert werden, dass die Analyse unserer Situation in Bezug auf [Rassismus] d.h. die Hautfarbe alleine den größten Einfluss auf unser politisches Handeln hat und gleichzeitig die Schwarzen als die einzigen wirklichen Arbeiter in Südafrika gelten müssen. Alle Ansätze, es könne eine effektive Beziehung zwischen den wirklichen Arbeitern, d.h. den Schwarzen, und den privilegierten weißen Arbeitern geben verbieten sich, da wir gezeigt haben, dass letztere die größten Unterstützer des Systems sind.
Es stimmt, dass das System es ermöglicht hat, dass sich unter den weißen, die den Schwarzen wirtschaftlich am nächsten stehen, eine so gefährliche antischwarze Haltung aufbauen konnte, dass sie die Distanz zwischen sich und den Schwarzen mit einer übertriebenen reaktionären Haltung gegenüber den Schwarzen zeigen. Daher ist das größte antischwarze Denken unter den sehr armen Weißen zu finden, die die Klassentheorie dazu aufruft, mit den Schwarzen Arbeitern im Kampf für die Emanzipation zu stehen. Das ist die Art von verdrehter Logik, die der Ansatz vom Schwarzen Bewusstsein zu beseitigen sucht.
Im Sinne des Ansatzes vom Schwarzen Bewusstsein erkennen wir die Existenz einer Hauptkraft in Südafrika an. Das ist der weiße Rassismus. Es ist die eine Kraft, gegen die wir alle ankämpfen. Er arbeitet mit nervtötender Absolutheit, sowohl in der Offensive als auch in der Verteidigung. Sein größter Verbündeter war bisher unsere Weigerung, uns allmählich von einer Welt der Farblosigkeit und der formlosen, gemeinsamen Menschlichkeit zu lösen. Die Weißen finden Genuss und Sicherheit darin, den weißen Rassismus zu festigen und den Geist und die Körper der ahnungslosen Schwarzen Massen weiter auszubeuten. Ihre Agenten sind überall unter uns und behaupten, dass es unmoralisch sei, sich in seinen Kokon zurückzuziehen, dass der Dialog die Antwort auf unser Problem sei. Sie sagen es wäre bedauerlich, dass es in einigen Vierteln weißen Rassismus gäbe, aber man müsse sehen, wie sich die Umstände änderten.
Das sind in der Tat die größten Rassisten, denn sie weigern sich, uns irgendeine Intelligenz zuzugestehen, durch die wir wissen was wir wollen. Ihre Absichten sind offensichtlich; sie wollen ein Gradmesser sein, an dem der Rest der weißen Gesellschaft die Gefühle in der Schwarzen Welt messen kann. Das ist es, was uns zeigt, dass weiße Macht sich als eine Absolutheit präsentiert, die uns nicht nur provoziert, sondern auch unsere Reaktion auf die Provokation kontrolliert. Das ist ein wichtiger Punkt, der zu beachten ist, weil er oft von denen übersehen wird, die glauben, dass es ein paar gute Weiße gibt. Sicherlich gibt es ein paar gute Weiße, genauso wie es ein paar schlechte Schwarze gibt.
Aber hier geht es um Gruppenverhalten und Gruppenpolitik. Die Ausnahme macht aus einer Regel keine Lüge – sie bestätigt die Regel. Die Gesamtanalyse lautet daher, basierend auf der Hegelschen Theorie des dialektischen Materialismus, wie folgt: Da die These der weiße Rassismus ist, kann es nur eine gültige Antithese geben, nämlich eine stabile Schwarze Einheit, um ein Gegengewicht zu schaffen. Wenn Südafrika ein Land sein soll, in dem Schwarze und Weiße in Harmonie zusammenleben, ohne Angst vor Gruppenausbeutung, dann müssten diese beiden Gegensätze zusammenspielen und eine tragfähige Synthese von Ideen und Lebensweisen ergeben. Wir können keinen Kampf führen, ohne einen starken Gegensatz zum weißen Rassismus zu setzen, der unsere Gesellschaft so wirksam durchdringt.
Man sollte sich sofort von dem Gedanken verabschieden, dass Schwarzes Bewusstsein lediglich eine Methode oder ein Mittel zum Zweck sind. Was Schwarzes Bewusstsein anstrebt, ist am Ende wirkliche Schwarze Menschen hervorzubringen, die sich nicht als Anhängsel der weißen Gesellschaft betrachten. Das kann nicht zurückgestellt werden.
Wir brauchen uns dafür nicht zu entschuldigen, denn es ist wahr, dass die weißen Systeme überall auf der Welt eine Reihe von Menschen hervorgebracht haben, die sich nicht bewusst sind, dass sie selbst auch Menschen sind. Unser Festhalten an Werten, die wir uns selbst gesetzt haben, kann auch nicht rückgängig gemacht werden, weil es immer eine Lüge sein wird, weiße Werte als notwendigerweise die besten zu akzeptieren. Die Tatsache, dass eine Synthese erreicht werden kann, bezieht sich nur auf das Festhalten an der Machtpolitik. Irgendjemand wird irgendwann gezwungen sein, die Wahrheit zu akzeptieren, und hier glauben wir, dass unsere die Wahrheit ist.
Die Zukunft Südafrikas für den Fall, dass die Schwarzen das Schwarze Bewusstsein annehmen, ist ein Thema, das besonders die Eingeweihten beschäftigt. Was tun wir, wenn wir unser Bewusstsein erlangt haben? Wollen wir die Weißen rausschmeißen? Ich persönlich glaube, dass die Antworten auf diese Fragen im politischen Manifest der SASO und in unserer Analyse der Situation in Südafrika zu finden sein sollten. Wir haben definiert, was wir unter wahrer Integration verstehen, und allein die Tatsache, dass es eine solche Definition gibt, zeigt, was unser Standpunkt ist. In jedem Fall sind wir viel mehr interessiert an dem was jetzt gerade geschieht, als daran was in der Zukunft geschehen wird. Die Zukunft wird immer von der Abfolge der gegenwärtigen Ereignisse geprägt sein.
Die Bedeutung der Schwarzen Solidarität für die verschiedenen Bestandteile der Schwarzen Gemeinschaft darf nicht unterschätzt werden. In der Vergangenheit gab es viele Vermutungen, dass es keine lebensfähige Einheit unter Schwarzen geben kann, weil sie sich gegenseitig verachten. Die Coloureds verachten die Afrikaner, weil sie durch ihre Nähe zu den Afrikanern ihre Möglichkeit auf Assimilation in die weiße Welt verlieren könnten. Afrikaner verachten die Farbigen und Inder aus einer Vielzahl von Gründen. Inder verachten die Afrikaner nicht nur, sondern sie beuten die Afrikaner in vielen Fällen auch bei der Arbeit und im Geschäft aus.
All diese stereotypen Sichtweisen haben zu riesigem Misstrauen unter den Gruppen von Schwarzen geführt.
Was wir zu jeder Zeit beachten sollten, sind die folgende Erkenntnisse:
Weitere Konsequenzen des Schwarzen Bewusstseins sind die Korrekturen falscher Bilder über uns selbst in der Kultur, Bildung, Religion und Wirtschaft. Auch dies darf in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden. Es gibt immer ein Zusammenwirken von der Geschichte der Menschen, also ihrer Vergangenheit, ihrem Glauben an sich selbst und ihren Hoffnungen für ihre Zukunft. Wir sind uns der schlimmen Rolle bewusst, die unsere Bildung und Religion dabei spielen, unter uns ein falsches Selbstverständnis zu schaffen. Wir müssen daher Pläne ausarbeiten, um nicht nur dies zu korrigieren, sondern auch um unsere eigenen Autoritäten zu sein, anstatt darauf zu warten, von andere verstanden zu werden.
Weiße können uns nur von außen sehen und können daher niemals das ethische Bewusstsein aus der Schwarzen Gemeinschaft herausziehen und analysieren. Zusammenfassend ist auf das politische Manifest von SASO zu verweisen, das diese meisten wichtigen Punkte der Definition des Schwarzen Bewusstseins enthält. Ich möchte noch einmal betonen, dass wir sehr genau wissen müssen, was wir mit bestimmten Begriffen meinen und was unser Verständnis ist, wenn wir vom Schwarzen Bewusstsein sprechen.
©Azanian People’s Organisation 2001.
* da Biko in diesem Text von 1971 die männliche Form benutzt, aber aus unserer Perspektive, wie sehr wahrscheinlich auch aus seiner, alle Schwarzen Menschen unabhängig vom Geschlecht gemeint sind, haben wir hier Änderungen eingefügt